Künstliche Intelligenz – ein Begriff im Wandel

Seit der Begriffsbildung Ende der 1950er Jahre unterliegt KI einem kontinuierlichen Wandel. Erstmals wurde der KI-Begriff auf der Dartmouth-Konferenz 1956 genutzt, die zugleich KI als akademisches Fachgebiet etablierte. In der Folge kam es zu mehreren zyklischen Phasen bedeutender Erfolge und, damit verbunden, hohen Erwartungen und großen Forschungsanstrengungen (KI-Sommer) und Phasen mit geringen Erwartungen und geringem Engagement (KI-Winter) hinsichtlich KI-Technologien[1]. Das berühmte Computerprogramm ELIZA, das zwischen 1964 und 1966 von Joseph Weizenbaum am MIT entwickelt wurde, führte schnell zu euphorischen Technikvorstellungen, die sich in der Folge jedoch nicht unmittelbar realisieren ließen und Erwartungen enttäuschten. Kennzeichnend für den Wandel des Verständnisses von KI sind insbesondere ständig steigende Anforderungen an KI-Systeme. So führten methodische Durchbrüche zu einer stetigen Anhebung der Kriterien für ein System, um als intelligent zu gelten.[2] Sobald KI ein Problem erfolgreich löste, galt das Problem kurz danach nicht mehr als Teil von KI. Dieses Phänomen wird auch als KI-Effekt bezeichnet.

Die historische Entwicklung von KI kann in vier Phasen unterteilt werden.[3] In der ersten Phase bis 1970 kam vorwiegend die regelbasierte Wissensverarbeitung durch heuristische Such- und Schlussfolgerungsverfahren zum Einsatz. Wissensbasierte Systeme – in der zweiten Phase bis 1990 – wurden ebenfalls manuell und direkt in die Maschine einprogrammiert. In der dritten Phase bis 2010 stand Maschinelles Lernen auf Basis von Massendaten im Fokus. Seit ca. 2010 werden beide Verfahrensansätze, lernende Systeme und wissensbasierte Methoden, zunehmend in komplexen Systemen integriert. Ihre Kombination wird unter dem Begriff Kognitive Systeme erfasst und hat das Ziel, den Menschen beim Erreichen seiner Ziele intelligent zu unterstützen und dabei repetitive und anstrengende Arbeit deutlich zu vermindern.

Entwicklungsphasen von KI-Systemen:

Quelle: Wahlster / DFKI, vgl. Wahlster (2016) in Bitkom & DFKI (2017)

Was muss KI können, um als KI zu gelten und welche Methoden können intelligentes Verhalten hervorbringen?

Ein Teil der KI-Forschung versucht, menschliche Intelligenz zu erklären und in Computern zu reproduzieren. Dabei wird die Vergleichbarkeit von KI-Methoden mit biologischen Funktionsweisen angestrebt.[4] In diesem Verständnis dienen KI-Systeme zur Modellierung menschlich-kognitiver Vorgänge, also als Werkzeug zur Prüfung von Hypothesen über menschliche Intelligenz. Deshalb wird in diesem Verständnis die Fähigkeit des Schlussfolgerns als zentrales Merkmal von KI betont.

Ein anderer Forschungszweig definiert KI methoden-agnostisch, d. h. sie orientiert sich nur am Ergebnis intelligenter Problemlösungen durch Computer. So spricht McCarthy, eine Schlüsselfigur der KI-Forschung, von KI als „Wissenschaft und Technik der Entwicklung intelligenter Maschinen, insbesondere intelligenter Computerprogramme. Sie ist verwandt mit der ähnlichen Aufgabe, Computer zu nutzen, um menschliche Intelligenz zu verstehen, aber KI muss sich nicht auf Methoden beschränken, die biologisch beobachtbar sind. Intelligenz [wiederum] ist der rechnerische Teil der Fähigkeit, Ziele in der Welt zu erreichen“.[5] Auch im Verständnis von Minsky, einer weiteren Schlüsselfigur, ist KI als „Wissenschaft, Maschinen dazu zu bringen, Dinge zu tun, die Intelligenz erfordern würden, wenn sie von Menschen gemacht würden“, durch ihre Funktionalität und nicht durch die dafür verwendeten Methoden zu definieren.[6] Beide sehen somit die Fähigkeit zu intelligentem Handeln als wesentliches Kriterium für eine Definition von KI. Auch Russel & Norvig definieren KI als „die Lehre von Agenten, die Wahrnehmungen aus der Umgebung erhalten und Aktionen ausführen“, also mit dem Fokus auf die Fähigkeit zu handeln.[7] Bei dieser Definition sowie im Zusatz, dass „jeder dieser Agenten […] eine Funktion, die Wahrnehmungsfolgen auf Aktionen abbildet“ sind neben der Fähigkeit zu handeln auch die Fähigkeit zur Kontextverarbeitung und die Anpassung der Handlung an den Kontext Definitionsmerkmale.[8]

Neben den zu erfüllenden Fähigkeiten eines KI-Systems unterscheiden sich viele wissenschaftliche Definitionen in ihrem Referenzpunkt für intelligentes Verhalten. So werden Systeme entweder bei Erreichen oder Übertreffen menschlicher Leistung oder anhand idealer Leistungskriterien (rationales Vorgehen unter Bedingung des jeweiligen Kenntnisstands) als KI definiert.[9]  So operationalisierte schon Alan Turing Intelligenz in Bezug auf die Ununterscheidbarkeit mit einem menschlichen Antwortverhalten in seinem wegweisenden Turing-Test.[10] Auch modernere KI-Forscher wie Kurzweil messen den Grad an Intelligenz, den ein System zeigen muss, an einem menschlichen Vergleichsstandard:  „Die Kunst, Maschinen zu schaffen, die Funktionen erfüllen, die, werden sie von Menschen ausgeführt, der Intelligenz bedürfen.“[11] Demgegenüber stehen wissenschaftliche Versuche, Intelligenz mathematisch oder anhand idealer Leistungskriterien zu definieren. Diese abstrahieren vom menschlichen Vorbild und beschreiben Intelligenz essenziell in der kontextabhängigen Handlung von (biologischen oder maschinellen) Systemen.[12] 

Menschenähnliche (kognitive) Fähigkeiten – Schwerpunkte aktueller Definitionen von KI

Auch wenn es bis heute kein einheitliches Verständnis gibt, wie sich KI definieren lässt und sich die Verständnisse von KI voraussichtlich in Zukunft weiterentwickeln werden, so lassen sich aktuell Gemeinsamkeiten feststellen. Schwerpunkt vieler aktueller Definitionen von KI sind menschenähnliche Fähigkeiten der künstlichen Systeme. So definiert die OECD in ihrer Publikation „Identifying and measuring developments in artificial intelligence“ KI als „Begriff, der allgemein verwendet wird, um Maschinen zu beschreiben, die menschenähnliche kognitive Funktionen ausführen (z. B. Lernen, Verstehen, Argumentieren und Interagieren).“[13] Diese Definition abstrahiert KI von der Lernfähigkeit und betont grundsätzlich kognitive Fähigkeiten als Merkmalskriterium von KI. Menschenähnliche Fähigkeiten werden auch von einigen Mitgliedstaaten der OECD in ihren nationalen KI-Strategien als Kriterien für KI aufgegriffen und meist umfänglicher und detaillierter ausgeführt.

Die Publikation „Artificial Intelligence and National Security” des US Congressional Research Service unterstreicht das Fehlen einer allgemein akzeptierten Definition von KI. In dem Bericht gilt ein System als KI, wenn es die folgenden Kriterien erfüllt:[14]

  1. Jedes künstliche System, das Aufgaben unter wechselnden und unvorhersehbaren Umständen ohne nennenswerte menschliche Aufsicht ausführt, oder das aus Erfahrungen lernen und seine Leistung verbessern kann, wenn es auf Datensätzen angewandt wird;
  2. ein künstliches System, das in Computersoftware, physischer Hardware oder einem anderen Kontext entwickelt wurde und Aufgaben löst, die eine menschenähnliche Wahrnehmung, Kognition, Planung, Lernen, Kommunikation oder physische Aktion erfordern;
  3. ein künstliches System, das entwickelt wurde, um wie ein Mensch zu denken oder zu handeln, einschließlich kognitiver Architekturen und neuronaler Netzwerke;
  4. eine Reihe von Methoden, einschließlich des maschinellen Lernens, die darauf ausgelegt sind, eine kognitive Aufgabe zu approximieren;
  5. ein künstliches System, das dafür ausgelegt ist, rational zu handeln, einschließlich eines intelligenten Software-Agenten oder verkörperten Roboters, der seine Ziele mithilfe von Wahrnehmung, Planung, Argumentation, Lernen, Kommunikation, Entscheidungsfindung und Handeln erreicht.

Die Kriterien des US Congressional Research Service fokussieren damit besonders die Ziele künstlicher Intelligenz und betonen menschenähnliche Fähigkeiten wie Wahrnehmung und Lernen. KI wird jedoch auch durch die Verwendung spezifischer Methoden, wie maschinelles Lernen, definiert.

Chinas nationale KI-Strategie von 2017 stellt besonders funktionale Anwendungen wie Virtuelle Realität oder auch Sensorik und die Mensch-Maschine-Schnittstelle in den Vordergrund. In Chinas Strategie, „sollte die Forschung und Entwicklung von KI-Schlüsseltechnologien der nächsten Generation Algorithmen zum Kern, Daten und Hardware zum Fundament und die Steigerung der Fähigkeiten in den Bereichen Sensorik und Erkennung, Wissensverarbeitung, kognitives Denken, Bewegungsausführung und Mensch-Maschine-Schnittstelle zum Schwerpunkt machen, um offen kompatible, stabile und ausgereifte technologische Systeme zu bilden.“[15] Besondere Aufmerksamkeit erfahren allgemeine Schlüsseltechnologien, die ebenfalls funktionale Anwendungen von KI-Systemen darstellen:

  • Knowledge Computing Engines und Knowledge Service Technologien, 
  • medienübergreifende analytische Reasoning-Technologien, 
  • Schwarmintelligenz-Technologien, 
  • autonome unbemannte Systeme, 
  • intelligente Technologien zur Modellierung virtueller Realität, 
  • Chips und Systeme für intelligentes Rechnen, 
  • Technologien zur Verarbeitung natürlicher Sprache sowie
  • Unterstützungsplattformen der oben genannten Technologien

Diese Perspektiven werden im europäischen Raum durch eine Analyse des Service für Wissenschaft und Wissen der Europäischen Kommission komplementiert. In der umfassenden Studie „AI Watch - Defining Artificial Intelligence“[16] untersuchen Experten vom Joint Research Center KI aus den drei komplementären Perspektiven Forschung, Politik und Industrie. Dabei werden KI-Systeme anhand folgender Fähigkeiten und Zielen definiert:

  • Wahrnehmung der Umwelt, einschließlich der Berücksichtigung der Komplexität der realen Welt
  • Informationsverarbeitung: Sammeln und Interpretieren von Inputs (in Form von Daten) 
  • Entscheidungsfindung (einschließlich Argumentation und Lernen): das Ergreifen von Aktionen, die Ausführung von Aufgaben (einschließlich Anpassung, Reaktion auf Veränderungen in der Umgebung) mit einem gewissen Grad an Autonomie
  • Erreichen spezifischer Zieleals der ultimative Zweck von KI-Systemen

Das Joint Research Center operationalisiert die Fähigkeiten und Ziele von KI in einer Taxonomie und Schlüsselwörterliste. Diese differenziert KI-Systeme anhand der menschenähnlichen Fähigkeit, die das KI-System erfüllen soll (KI-Gebiet). Jeder menschenähnlichen Fähigkeit werden verschiedene funktionale Anwendungen von KI zugeordnet, die wiederum mit Methoden in Form von Schlüsselbegriffen hinterlegt sind.

Nachfolgende Tabelle zeigt die KI-Taxonomie des Joint Research Center (EU):

Quelle: vgl. Samoili et al. (2020).

Dieses Vorgehen ähnelt der Methodik der WIPO (World Intellectual Property Organization). In ihrer Publikation „Artificial Intelligence“ wird ebenfalls zwischen Methoden und funktionellen Anwendungen von KI unterschieden. Als drittes Klassifikationsmerkmal wird KI anhand potenzieller Anwendungsfelder unterschieden. Dieses Vorgehen erlaubt nicht nur die Identifikation bestehender KI-Entwickler in Rheinland-Pfalz, sondern bietet ebenso einen entscheidenden Vorteil für die systematisierte Suche nach potenziellen Anwendern aus Rheinland-Pfalz. 

Literatur:

[1] Haenlein & Kaplan (2019).

[2] McCorduck, (2004); Hernandez-Orallo (2020).

[3] Bitkom & DFKI (2017).

[4] Newell & Simon (1961, 1972).

[5] McCarthy (2007).

[6] Minsky (1968).

[7] Russel & Norvig (1998, 2020).

[8] Russel & Norvig (1998, 2020).

[9] ibidem.

[10] Turing (1950, 2009). 

[11] Kurzweil, Richter & Schneider (1990).

[12] Legg & Hutter (2007).

[13] Baruffaldi et al. (2020).

[14] US Congressional Research Service (2020).

[15] A New Generation Artificial Intelligence Development Plan (2017).

[16] Samoili et al. (2020).


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